von Bernd-Volker Brahms
Volksstimme vom 17.06.2013, Online-Ausgabe
Bild-Quelle: ebenda
Die Witwe Karin Pahling freut sich, dass das Handeln ihres Mannes und anderer beim Arbeiteraufstand sechzig Jahre später anerkannt wird. Ihr Mann wurde 1991
offiziell rehabilitiert.
Für seinen Mut hat Karl-Heinz Pahling mit siebeneinhalb Jahren Gefängnis bezahlt. Der Stendaler gehörte am 17. Juni 1953 in Niemegk und Belzig (Landkreis
Potsdam-Mittelmark) zu den Streikführern des Arbeiteraufstandes. "Für ihn war das, was er damals gemacht hatte, immer selbstverständlich gewesen", sagt dessen Witwe Karin Pahling aus Uchtspringe.
Karl-Heinz Pahling ist bereits seit 14 Jahren tot, im März 1999 starb er wenige Tage, nachdem ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt worden war.
Pahling, der 1953 gerade 26 alt und als Gleisarbeiter tätig war, hatte sich mit seinen Kollegen für verbesserte Arbeitsbedingungen eingesetzt. Zu den Forderungen
gehörte unter anderem die Herabsetzung der Norm sowie der HO-Preise um 40 Prozent. Es wurden aber auch sehr politische Ziele verfolgt: Rücktritt der Regierung, Abschaffung der Zonengrenzen, freie
Wahlen in ganz Deutschland sowie die Freilassung aller politischer Häftlinge.
Über die Ereignisse nur wenig erzählt
In alten Stasi-Unterlagen ist der genaue Ablauf der Ereignisse in Niemegk und Belzig festgehalten, wo der Stendaler Karl-Heinz Pahling an vorderster Stelle dabei
war. Nach den Unterlagen hatten am Morgen des 17. Juni die 120 Gleisbauarbeiter der Deutschen Bahn in Niemegk bei Schichtbeginn ihre Arbeit niedergelegt. Es formierte sich ein Demonstrationszug
mit mehr als 1000 Leuten, dem sich auch andere Arbeiter und Zivilisten anschlossen. Auf dem Marktplatz gab es eine Kundgebung, bei der Karl-Heinz Pahling vom Dach eines Lkw zu den Menschen
sprach. Er gehörte zu einem vierköpfigen Streikkomitee, das von den Arbeitern gewählt worden war.
Pahling organisierte von Niemegk aus später eine Weiterfahrt für viele der Demonstranten mit dem Zug nach Belzig. Dort erläutert der junge Mann von einer Mauer
herab einen 19 Punkte umfassenden Forderungskatalog und versuchte, auch beim Rat der Stadt vorzusprechen. Allerdings wurde er dort von zwei sowjetischen Offizieren "rausgeschmissen", wie Pahling
später den Demonstranten mitteilt.
"Mein Mann hat in späteren Jahren nicht mehr viel von den Dingen erzählt", sagt die heute 75 Jahre alte Karin Pahling. Zu DDR-Zeiten habe ihr Mann sich politisch in
der Öffentlichkeit sowieso nie geäußert, aber auch innerhalb der Familie gegenüber ihr und den beiden Kindern habe er nicht viele Worte über die zurückliegenden Ereignisse verloren. Die vielen
Jahre im Gefängnis hatten ihn geprägt, aber nie vollständig eingeschüchtert. Er habe in dem Bewusstsein gelebt, nichts falsch gemacht zu haben, sagt Karin Pahling.
Als 1989 die Wendezeit kam und es wieder um unzumutbare Lebensverhältnisse ging, da traute sich Karl-Heinz Pahling wieder auf die Straße und schloss sich zunächst
dem "Neuen Forum" an. Noch im Dezember 1989 trat er der SPD bei. Auch die unterdrückten Gefängnisjahre kamen bei ihm wieder durch. In der Silvesternacht 1989/90 machte er das Fenster auf und
beschallte die Nachbarschaft mit dem Gefangenenchor von Verdis "Nabucco".
Ich habe ihn erst kennengelernt, als er aus dem Gefängnis wieder raus war", sagt die Rentnerin Karin Pahling, die in einer Apotheke in Uchtspringe arbeitete. "Ich
habe einen Zuchthäusler geheiratet", sagt sie.
Der Stendaler wurde am 25. Juni 1953 - also eine Woche nach dem Aufstand - festgenommen. Stasi-Spitzel hatten seinen Unterschlupf verraten. Er wurde ins
Untersuchungsgefängnis Potsdam gebracht, seinen Aufenthaltsort kannte er indes nicht. Als einziger des Streikkomitees wurde er am 19. August 1953 vom Bezirksgericht Potsdam zu zehn Jahren
Zuchthaus verurteilt. Der damals 26-Jährige bekam die höchste Strafe, die das Gericht seinerzeit im Zusammenhang mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 verhängt hat. Vorgeworfen wurde ihm unter
anderem die Verletzung des "Gesetzes zum Schutz des Friedens".
Nach der Wende den Richter angezeigt
Erst einen Tag vor dem Prozess, der am 19. August 1953 stattfand, erfuhr Pahling, was in seiner Anklageschrift stand. Den Verteidiger lernte er lediglich eine
Stunde vor Beginn kennen, wie er in einem Zeitzeugenbericht schrieb, den er 1993 verfasste. Auf Pahlings Frage an den Verteidiger, wie denn seine Aussichten seien, antwortete dieser: "Wir wollen
hoffen, dass es bei einer zweistelligen Zahl bleibt."
Nach der Wende hat Pahling Strafanzeige gegen den damaligen Richter und den Staatsanwalt eingereicht. "Die Verfahren sind im Sande verlaufen", sagt seine Witwe.
Immerhin: Am 7. Oktober 1991 wurde der Stendaler offiziell rehabilitiert.
Als Pahling am 19. November 1960 aus dem Gefängnis in Brandenburg entlassen wurde, ging er nicht nach Westdeutschland, so wie es ihm noch offengestanden hatte,
sondern lebte sein Leben in der DDR. "Ich bin trotz aller erlittenen Demütigungen nicht den Weg des geringsten Widerstandes gegangen", schrieb Pahling in seinem Zeitzeugenbericht. Der gelernte
Gleisbauer ging zunächst zurück nach Stendal zu den Eltern und gründete kurze Zeit später in Uchtspringe eine Familie. Er arbeitete jahrelang im landwirtschaftlichen Betrieb VEB
Volkfelde.
"Ich freue mich sehr, dass zum Jahrestag des 17. Juni an die mutigen Menschen erinnert wird", sagt die Witwe.
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