Leserbrief von Karl-Heinz Pahling
LDZ vom 01. März 1990 (nur teilweise archiviert)
Als ich am 25. Juni 1953 wegen Teilnahme am Arbeiteraufstand von der Stasi festgenommen wurde, hätte ein Antrag auf Haftverschonung bei den Stasi-Beamten Lachkrämpfe ausgelöst. Ich wurde gar nicht auf Haftfähigkeit untersucht.
Während der vier Monate im Staatssicherheitsgefängnis Potsdam (genannt "Lindenhotel") und während des sich daran anschließenden etwa siebeneinhalbjährigen Zuchthausaufenthaltes in Brandenburg habe ich dort niemals einen Arzt gesehen. Ich weiß bis heute nicht, ob überhaupt einer da war. Das ist eine Seite der "Fürsorge", die den Gefangenen zuteil wurde. Nach Privilegien, wie sie den heutigen Staatsverbrechern zuteil werden, hätten wir uns damals auch gesehnt.
Es drängt sich bei mir die Frage auf: Wie kann man zur Haftverschonung kommen? Muß man dazu bestimmte Privilegien besitzen? In den Haftanstalten der DDR gibt es Krankenreviere und wenn ich mich recht erinnere, gibt es auch ein Haftkrankenhaus.
Wo und wie können diese erst in Untersuchungshaft genommenen und jetzt durch Haftverschonung entlassenen Betrüger wohnen? Werden sie bewacht? Soll sich Harry Tisch
vielleicht in seinem Jagdschloß für seinen zu erwartenden Prozeß fit machen? Oder erhalten sie durch die fragwürdige Haftverschonung die Gelegenheit, weiteres Belastungsmaterial zu vernichten?
Haben noch weitere der noch inhaftierten Zentralkomitee-, Politbüro- oder Parteifunktionäre wegen Krankheit Aussicht auf Entlassung aus der Untersuchungshaft? Fast sieht es so aus, als sei das
Volk der DDR 40 Jahre lang von Kranken regiert worden. In der Justiz steht anscheinend die Welt kopf.
Vielfach wurden im Fernsehen der DDR Menschen vorgestellt, die z. B. unter der Hitlerherrschaft viel leiden mußten. Man hat aber Menschen, die schon am 17. Juni
1953 auf die Sraße gegangen sind, noch nie befragt, wie sie zu leiden hatten. Bisher ging es nur um die Rehabilitierung von Genossen der ehemaligen SED. Wann denkt man an die Opfer des 17.
Juni?
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